Bureau Johannes Erler – über Liebe (die September-Kolumne in der PAGE)

über Liebe (die September-Kolumne in der PAGE)

Autor

Johannes Erler

Kategorie

Bureau

Datum

05.09.2016

Wut ist das Wort des Jahres. »Amerikas ansteckende Wut«, titelt die ZEIT. »Wähler zwischen Frust und Wut – Der Nährboden der AfD««, schreibt SPIEGEL online. »Im Rausch der Wut – wer war der Amokläufer David S.?«, fragt die Berliner Morgenpost. Wut hat unfassbar viel Energie. Wut reißt Grenzen nieder und macht das Unmögliche möglich. Wut ist die grausame, destruktive Waffe der Stunde. Und geht man in die sozialen Netzwerke, sind es längst nicht mehr nur die anderen, die wütend sind. Wut ist überall.

Michael Fritz ist Konzeptionsaktivist und Gründungsmitglied von Viva con Agua, einem höchst erfolgreichen Netzwerk von Menschen und Organisationen, das sich für den weltweiten menschenwürdigen Zugang zu sauberem Trinkwasser einsetzt. Das Wort Liebe benutzt Fritz in seinem Vortrag genau 1x. Doch wer wissen will, wie man Wut, Angst und anderen Negativismen begegnet, der schaue sich bitte diesen Vortrag an, der bis zur letzten Sekunde vollgepackt ist mit Tatendrang, Vertrauen, Zuversicht, Intelligenz, fantastischen Ideen – und mit Liebe.

»Bei Viva con Agua geht es sehr viel darum, einfach mal eine andere Perspektive einzunehmen«, sagt Fritz, »Ich glaube, das nennt sich Emphatie oder so.«

Dem ist nichts hinzuzufügen. Und statt also der Wut nachzugrübeln, berausche ich mich lieber an der treibenden Kraft der Liebe. Mit einer sehr unvollständigen Liste der Dinge, an denen in diesem Moment mein Herz hängt.

Ich liebe den Blick aus meinem Bürofenster in die sommerlichen Gärten Harvestehudes. Ich liebe das Eichhörnchen in den Wipfeln der Fichte direkt vor diesem Fenster, das so nah ist, dass ich es fast berühren könnte.

Ich liebe meinen Job und ich liebe alle, die mir sinnvolle Arbeit geben, auch wenn ich es ihnen noch nie so direkt gesagt habe. Ich liebe diesen Geisteszustand, wenn die Ideen kommen. Ich liebe es, wenn ein guter Satz gelingt und ich liebe den Moment, in dem ich nach der Lektüre eines Buches oder Artikels begreife, dass ich etwas gelernt habe.

Ich liebe das große R der Akzidenz Grotesk Bold und das kleine p der Gill Sans Kursiv. Seit Jahren liebe ich jeden gut gesetzten Text aus der Dolly Regular in 9,5 Punkt und neuerdings liebe ich auch die Real Bold, besonders in 12 Punkt. Ich liebe die Farbkombination Pantone XXX/Pantone XXX und ich liebe es, das Papier Circle Matt White, 70g/qm zwischen den Fingern zu reiben.

Ich liebe (playlist random moment) »E.V.P.« von Blood Orange, »Lucretia Mac Evil« von Blood, Sweat & Tears, »Ventilator« von den Orsons, »Sex&Drugs&Rock’n’Roll« von Ian Dury und ich liebe noch 1.000.000 anderer Lieder, weil Musik das Größte ist.

Ich liebe das Pianosolo von Samuel Yirga in Cluesos »Aand Nen«, einem weiteren Projekt von Viva con Agua, und Prince’ Gitarre im Hall of Fame-Video von George Harrisons »While My Guitar Gently Weeps«. Scheiße, wie sehr habe ich Prince und Bowie geliebt! Und wie sehr habe ich geheult, als ich eines Morgens, als Bowie gegangen war, vor meinem Büro stand mit »Where Are We Now« auf den Ohren und begriff, was er da sang.

Ich liebe SÜPERGRÜP und 1000 ZEICHEN (watch out with patience!). Und im speziellen liebe ich jetzt gerade Mario, weil der auch immer alles liebt.

Ich liebe eiskaltes Staropramen und heiße Marokkanische Minze. Ich liebe den HSV, meine Fahrräder, Tüschow, eine Zigarette im richtigen Moment und Schokoeis mit Sahne und Haselnusskrokant.

Ich liebe meine Frau, meine Söhne, meine Familie und unseren Hund. Ich liebe meine Freunde. Ja, und ich liebe mein Leben. Es ist ein zufälliges Privileg, in dieser Zeit an diesem Ort zu leben und frei zu sein, das ist mir sehr bewusst.

»Engagiert euch. Es ist eure Welt!«, sagt Michael Fritz am Ende seines Vortrags.

PS: »There’s nothing you can do that can’t be done!« (The Beatles, All you need is love).

Bureau Johannes Erler – über Liebe (die September-Kolumne in der PAGE)